Ferdinand Freiligrath

Moostee (Ferdinand Freiligrath)

(Aus "Gedichte", 1838)

             

Sechzehn Jahr' - und wie ein greiser

Alter sitz ich, matt und krank;

Sieh, da senden mir der Geiser

Und der Hekla diesen Trank.

Auf der Insel, die von Schlacken

Harter Lava und von Eise

Starrt, und den beschneiten Nacken

Zeigt des arkt'schen Poles Kreise;

Über unterird'schen Feuern,

In nordlichterhellten Nächten,

Bei den Glut- und Wasserspeiern

Wuchsen diese bittern Flechten.

Aus den dampfumrollten Kegeln,

Aus der Berge schwarzem Tiegel,

Gleich blutroten Sagenvögeln -

Flammenzungen ihre Flügel -

Sahn sie feurig auf zum schwarzen

Himmel mächt'ge Steine sprühen,

Und ein Meer von heißen Harzen

Durch das Schneegefilde ziehen.

Von den Jökuln zu den Fjorden

Durch das dän'sche Inselland,

Breit, ein riesiger Dan'brogorden,

Schlängelt sich das Flammenband.

Wolken, Rauch und Asche wallen,

Und am Strand die Robben winseln,

Und die roten Steine fallen

Nieder auf entfernten Inseln;

Die zerrißnen Berge zittern,

Und das Eismeer schäumt und braut -

Dorten wuchsen diese bittern

Flechten, wuchs dies herbe Kraut. -

Daß die kranke Brust gesunde,

Und sich freue neuer Kraft,

Biet ich träumerisch dem Munde

Ihren dunkelgrünen Saft.

Feuer zuckt durch meine Nerven,

Vor mir liegt das wüste Land;

Die weitoffnen Krater werfen

Himmelan den flüss'gen Brand.

Kühner fühl ich mich und stärker

Bei dem Lodern dieser Glut,

Und die Wildheit der Berserker

Tobt durch mein genesend Blut.

Lavaschein und Nordlicht röten

Mein Gesicht; die Pulse schlagen

Schneller; Edda, laß mich treten

Vor die Helden deiner Sagen!

Ha! wenn dieser Insel Pflanzen

Mir den Lebensbecher reichen,

Mög' ich dann in meinem ganzen

Leben dieser Insel gleichen!

Feuer lodre, Feuer zucke

Durch mich hin mit wildem Kochen;

Selbst der Schnee, in dessen Schmucke

Einst mein Haupt prangt, sei durchbrochen

So aus meinem Haupt, ihr Kerzen

Wilder Lieder, sprühn und wallen

Sollt ihr, und in fernen Herzen

Siedend, zischend niederfallen!

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 004911 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.