Traum (Ernst Stadler)
1902
Noch trag' ich's ja...
Doch einmal weiß ich reißt's mich fort,
Eh' meiner Jugend letzte Blüte fiel,
Aus dumpfer Städte eklem Hüttenqualm
Hinauf zu jenem lichten Zauberland,
Das früh der Sehnsucht Finger mir gewiesen.
Ein plumper Nachen schwimmt auf schwarzer Flut,
Gleichförmig klatscht der Ruder schwerer Takt.
Jetzt schürft der Sand, hart fliegt der Kahn an's Ufer,
Die Kette knarrt, schon faßt mein Fuß den Boden,
Ein Händedruck,
Der Alte stößt sich ab,
Im Meergesang verplätschert fern der Kahn
Ich bin allein
Allein.
Und vor mir ragt es auf:
Wilde Titanen voller Nordlandsmark,
So trotzig-schroff,
Als hätte nicht des Alters Schneegeschmeid'
Auf ihre Stirnen glitzernd sich gelegt.
Noch gluten ihre Augen.
Und ihre Arme recken sich empor,
Als schrieen sie nach Rache, Rache
Jetzt noch, nach so viel tausend Jahren,
Rache
Für unerhörten Frevel.
Doch ihre Muskelkraft ward starrer Stein.
Stahlhart strafft sich die Flut um ihren Leib,
Schweigend und grau.
Kein leiser Windhauch wellt sie auf
Zu kosendem Gebuhl
Wie an des Südens schmeichelnden Gestaden
Kein Vogel flattert singend drüber hin:
Ruhe ist alles Einsamkeit und Tod.
Und langsam schreit' ich so bergan.
Und immer höher,
Bis zur höchsten Kuppe:
Da halt' ich Rast.
Fels und Geröll ringsher
Und weite, weite Felder,
Drauf ew'ger Winter weiße Aussaat hält. Unten tief
Das Meer,
In das die Sonne
Purpurnes Blut aus glühenden Wunden tropft . . .
Ewigkeitsschauern schwebt herab,
Brennende Wunden schließen sich, es ebbt
Der Strom der Leidenschaft,
Und meines Herzens Bitternis
Verklärt sich still zu reifem Manneslächeln
Vor dieser Sonne mit dem Feuerblick.
Und so, mein Aug' in ihren Glanz getaucht,
Zu stummer, brünstig-heißer Andacht
Gleit' ich hinab
In sonnenblutdurchströmte Nordlandsfluten,
Die flüsternd leis, gleich einem kranken Kind,
Zu ew'gem Schlummer mich hinüber träumen . . .