Ernst Stadler

Evokation (Ernst Stadler)

1911

O Trieb zum Grenzenlosen, abendselige Stunde,

Aufblühend über den entleerten Wolkenhülsen, die in violetter Glut zersprangen,

Und Schaukeln gelber Bogenlampen, hoch im Bunde

Mit lauem Flimmer sommerlicher Sterne. Wie ein Liebesgarten nackt und weit

Ist nun die Erde aufgetan . . o, all die kleinen kupplerischen Lichter in der Runde . .

Und alle Himmel haben blaugemaschte Netze ausgehangen –

O wunderbarer Fischzug der Unendlichkeit!

Glück des Gefangenseins, sich selig, selig hinzugeben,

Am Kiel der Dämmerung hangend mastlos durch die Purpurhimmel schleifen,

Tief in den warmen Schatten ihres Fleisches sich verschmiegen,

Hinströmen, über sich den Himmel, weit, ganz weit das Leben,

O Glück des Grenzenlosen, abendseliges Schweifen!

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008528-4
Erschienen im Buch "Der Aufbruch und andere Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.