Besuch in der Kartause (Eduard Mörike)
[Epistel an Paul Heyse]
Als Junggesell, du weisst ja, lag ich lang einmal
In jenem luftigen Doerflein an der Kindelsteig
Gesundheitshalber muessig auf der Baerenhaut.
Der dicke Foerster, stets auf mein Plaesier bedacht,
Wies mir die Gegend kreuz und quer und fuehrte mich
Bei den Kartaeusern gleich die ersten Tage ein.
Nun haett ich dir von Seiner Dignitaet zunaechst,
Dem Prior, manches zu erzaehlen: wie wir uns
In Scherz und Ernst, trotz meines schwaebischen Ketzertums,
Gar bald verstanden; von dem kleinen Gartenhaus,
Wo ein bescheidnes Buecherbrett die Lieblinge
Des wuerdigen Herrn, die edlen alten Schwarten trug,
Aus denen uns bei einem Glase Wein, wie oft!
Praenestes Haine, Tiburs Wasser zugerauscht.
Hievon jedoch ein andermal. Er schlaeft nun auch
In seiner Ecke dort im Chor. Die Moenche sind,
Ein kleiner Rest der Bruederschaft, in die Welt zerstreut;
Im Kreuzgang laermt der Kuefer, aus der Kirche dampft
Das Malz, den Garten aber deckt ein Hopfenwald,
Kaum dass das Haeuschen in der Mitte frei noch blieb,
Von dessen Dach, verwittert und entfaerbt, der Storch
Auf einem Beine traurig in die Ranken schaut.
So, als ich juengst, nach vierzehn Jahren, wiederkam,
Fand ich die ganze Herrlichkeit dahin. Sei's drum!
Ein jedes Ding waehrt seine Zeit. Der alte Herr
Sah alles lang so kommen, und ganz andres noch,
Darueber er sich eben nicht zu Tod gegraemt.
Bei duennem Weissbier und versalzenem Poekelfleisch
Sass ich im Gasthaus der gewesnen Praelatur,
Im gleichen Saelchen, wo ich jenes erstemal
Mit andern Fremden mich am ausgesuchten Tisch
Des Priors freute kloesterlicher Gastfreiheit.
Ein grosser Aal ward aufgetragen, Laberdan,
Und Artischocken aus dem Treibhaus "fleischiger",
So schwur, die Lippen haeufig wischend, ein Kaplan,
"Sieht sie Fuerst Taxis selber auf der Tafel nicht!"
Des hoechsten Preises wuerdig aber deuchte mir
Ein gelber, weihrauchblumiger Vierunddreissiger,
Den sich das Kloster auf der sonnigsten Halde zog.
Nach dem Kaffee schloss unser wohlgelaunter Wirt
Sein Raritaetenkaestchen auf, Bildschnitzereien
Enthaltend, alte Muenzen, Gemmen und so fort,
Geweihtes und Profanes ohne Unterschied;
Ein heiliger Sebastian in Elfenbein,
Desgleichen Sankt Laurentius mit seinem Rost,
Verschmaehten nicht als Nachbarin Andromeda,
Nackt an den Fels geschmiedet, trefflich schoen in Buchs.
Naechst alledem zog eine altertuemliche
Stutzuhr, die oben auf dem Schranke ging, mich an;
Das Zifferblatt von grauem Zinn, vor welchem sich
Das Pendelchen nur in allzu peinlicher Eile schwang,
Und bei den Ziffern, gross genug, in schwarzer Schrift
Las man das Wort: Una ex illis ultima.
"Derselben eine ist die letzt" - verdeutschte flugs
Der Pater Schaffner, der bei Tisch mich unterhielt
Und gern von seinem Schulsack einen Zipfel wies;
Ein Mann wie Stahl und Eisen; die Gelehrsamkeit
Schien ihn nicht schwer zu druecken und der Kuerass stand
Ihm ohne Zweifel besser als die Kutte an.
Dem dacht ich nun so nach fuer mich, da streift mein Aug
Von ungefaehr die Wand entlang und stutzt mit eins:
Denn dort, was seh ich? Waere das die alte Uhr?
Wahrhaftig ja, sie war es! - Und vergnuegt wie sonst,
Laufst nicht, so gilts nicht, schwang ihr Scheibchen sich auf und ab.
Also erzaehlte mir der Schalk mit innigem
Vergnuegen, und wer haette nicht mit ihm gelacht?