Aus der Ferne (Eduard Mörike)
Weht, o wehet, liebe Morgenwinde!
Tragt ein Wort der Liebe hin und wieder!
Er:
Vor der Stadt, wo du hinausgeritten,
Auf dem Maultier, du mit den Begleitern,
Stund um Stunde sitz ich dort in Trauer,
Wie ein scheuer Geist am hellen Tage.
Sie:
Weder Freude hab ich, die mich freute,
Weder Kummer, der mir naheginge,
Als nur jene, daß du mein gedenkest,
Als nur diesen, daß ich dich nicht habe.
Er:
Ist ein Stein, darauf dein Fuß getreten,
Fliegt ein Vogel, der vielleicht dich kennte,
Jedem Höckenweibe möcht ich's sagen,
Laut am offnen Markte könnt ich weinen.
Weht, o wehet, liebe Morgenwinde!
Tragt ein Wort der Liebe hin und wieder!
Er:
Sollt ich Trost bei den Genossen suchen?
Noch kein Fröhlicher hat wahr getröstet.
Sie:
Kann ich meinesgleichen mich vertrauen?
Halb mit Neid beklagten sie mich Arme.
Er:
In der Halle, wo sie abends trinken,
Sang ein hübsches Mädchen zu der Harfe;
Ich kam nicht zur Halle, saß alleine,
Wie ein kranker Sperber auf der Stange.
Sie:
Auf den Altan zogen mich die Mädchen:
»Komm, die schönen Jünglinge zu sehen,
Die vorüberziehn im Waffenschmucke.«
Ungern folgt ich, mit verdroßnen Augen.
Still, o stille nun, ihr Morgenwinde!
Wehet morgen in der Frühe wieder!