An Hermann (Eduard Mörike)
Unter Traenen rissest du dich von meinem Halse!
In die Finsternis lang sah ich verworren dir nach.
Wie? auf ewig? sagtest du so? Dann laesset auf ewig
Meine Jugend von mir, laesset mein Genius mich!
Und warum? bei allem, was heilig, weisst du es selber,
Wenn es der Uebermut schwaermender Jugend nicht ist?
O verwegenes Spiel! Komm! nimm dein Wort noch zuruecke!
- Aber du hoertest nicht, liessest mich staunend allein.
Monde vergingen und Jahre; die heimliche Sehnsucht im Herzen,
Standen wir fremd, es fand keiner ein mutiges Wort,
Um den kindischen Bann, den luftgewebten, zu brechen,
Und der gemeine Tag loeschte bald jeglichen Wunsch.
Aber heutige Nacht erschien mir wieder im Traume
Deine Knabengestalt - Wehe! wo rett ich mich hin
Vor dem lieblichen Bild? Ich sah dich unter den hohen
Maulbeerbaeumen im Hof, wo wir zusammen gespielt.
Und du wandtest dich ab, wie beschaemt, ich strich dir die Locken
Aus der Stirne: O du, rief ich, was kannst du dafuer!
Weinend erwacht ich zuletzt, trueb schien der Mond auf mein Lager,
Aufgerichtet im Bett sass ich und dachte dir nach.
O wie tobte mein Herz! Du fuelltest wieder den Busen Mir,
wie kein Bruder vermag, wie die Geliebte nicht kann!