Detlev von Liliencron

Verbannt (Detlev von Liliencron)

               

Gleichviel weshalb, ich bin's, ich bin verbannt

Auf eine kleine, deichumrahmte Insel.

Weit liegt mein walddurchrauschtes Vaterland.

Hier schleicht und kriecht das Wattenmeergerinsel

Durch Schlick und Schlamm, ein schmutzig gelbes Band.

Poltert der Sturm nicht, nörgelt Windgewinsel.

    Ich seh die Sonne morgens Wasser trinken,

    Und abends wieder in die Wogen sinken.

Der Reiher, dem das Nest zerschossen wird,

Er baut sich an im ersten besten Walde.

Der Flüchtling, der von Land zu Ländern irrt,

Erreicht vielleicht noch eine grüne Halde,

Wo süß und sanft die Friedenstaube girrt,

Und er die reichste Ruhe findet balde.

    Verdammt bin ich auf dieses öde Eiland,

    Ich gab mein Wort: Es ist für mich kein Freiland.

Zwar hab ich sonst, was nur das Herz begehrt,

Zigarren, Bücher, Schreibpapier und Tinte.

Auch ist die Seehundjagd mir nicht verwehrt

Und was an Vögeln fliegt in meine Flinte.

Jedwede Woche kommt ein Schiff, beschwert

Mit Briefen, Packen, Zucker, Öl, Korinthe.

    Erst gestern aß ich ein Diner von Pfordte,

    Und, hinterher, von Kranzler ein Stück Torte.

Wie muß, heimdenkend, oft am Deich ich lehnen,

Mir jedes ferne dunkle Pünktchen buchend.

Gleich Iphigenie, mit endlosem Sehnen,

Das Land der Griechen mit der Seele suchend.

Kein Schiff in Sicht, nur rege weiße Mähnen,

Und ich entferne mich, den Tag verfluchend.

    Es rötet die Erinnerung neuer Rost.

    Ein letzter Blick aufs Meer und - ah, die Post:

Im Osten, weit, noch hinterm Horizonte,

Wenn dies Paradoxon vielleicht erlaubt ist,

Zeigt sich ein Rauch gleich einer Nebelfronte,

(Verzeihung für das Wort, das sehr geschraubt ist.)

Doch näher, wie bestimmt ich sehen konnte,

Erscheint ein schwarzer Schornstein, der behaubt ist.

    Und dauert auch noch Stunden seine Fahrt,

    Bald liegt mein Schiff im Hafen wohlverwahrt.

Was bringt die Post, was kann sie alles bringen,

Trübsal und Trost, Freud', Bettelbrief und Trauer.

Heut eine Nachricht, daß wir überspringen

Im Jubelrausch die allerhöchste Mauer.

Kann sein, daß morgen wir die Hände ringen,

Mißlaunig sitzen wie der Kauz im Bauer.

    Das erste ist die Prüfung der Adressen,

    Den lesen gleich wir, jenen nach dem Essen.

Es brachte mir die Post heut allerlei:

Die Rundschau, Magazin und Nord und Süd,

Kalugas Fahrt vom Ob zum Jenisei;

Daß mir zwei Füllen fielen im Gestüt.

Ein Freundesbrief klang frisch und kummerfrei,

Ein andrer trostlos, trüb und wegesmüd.

    Auch sandte mir ein Los Herr Lilienfeld

    Mit sichrer Aussicht auf ein Heidengeld.

Ganz unten lag ein rosenrot Kouvert,

Mit Monogramm X. Z. und sieben Zinken.

Ich wußte, daß genannt er Adalbert,

Sie konnte mit dem Namen Laura blinken.

Essence d'Ixora war dem Brief Gefährt',

Ihr Händchen wollte mir entgegenwinken.

    Ein Blatt zwar hab ich nur mit ihren Zügen:

    »Die Eltern hätten heut gern das Vergnügen...«

Der Abend wurde mir verhängnisvoll,

Zu reizend war die kleine Baronesse.

Ich liebte bald wie rasend sie und toll,

Auch zeigte sie mir mehr als Politesse.

Doch wurde aus dem Dur-Akkord ein Moll,

Aus dunkeln Rosen bog sich die Zypresse.

    Das Ganze zwängt sich in das Wort hinein

    Aus Scheffels Lied: Es hat nicht sollen sein.

Ich glaubte glücklich sie mit ihrem Mann,

An den sie nun zehn Jahr' gekettet war.

Aus ihren Zeilen, ach, erfuhr ich dann,

Wie schlecht das arme Weib gebettet war.

Daß ein Verschwender er und Haustyrann,

Aus dem Konkurse nichts gerettet war.

    Wie herbe schrieb sie diese harte Prosa,

    Und doch wie zart und vornehm und sub rosa.

Im Leben mag's zum Schwersten wohl gehören,

Aus Glanz und Reichtum plötzlich arm zu werden.

Wie muß es unser Innerstes empören,

Wenn Hinz und Kunz wir sehn auf unsern Pferden,

Wenn Hinz und Kunz uns unser Heim zerstören,

Den Rest uns nehmen, was uns lieb auf Erden.

    Und dann, wenn alles auseinanderstiebt,

    Den anzusehen, den wir einst geliebt.

Genug, genug. Wir alle danken Gott,

Wenn wir zur schnellen Hülfe Mittel haben.

Nahm wer, wir helfen auf und machen flott,

Im Lebenssteeplechase zu kurz den Graben,

Und lassen dann ihn ohne Hohn und Spott,

Und ohne viel zu fragen, weiter traben.

    Punkt. Lack, so rot wie 'n Krebs, ein gut gekochter.

    Und in die Türe tritt Thay Thaysens Tochter.

Thay Thaysens hübsches achtzehnjährig Kind

Muß mir den Tee bereiten, Kaffee kochen,

Flickt meine Wäsche, stärkt mich mit Absinth,

Will mich ein Hungermangel unterjochen.

Sie stäubt den Schreibtisch ab, mein Kleiderspind,

Und dient mir so seit vierundzwanzig Wochen.

    Entlassen mußt' ich meinen Kammerdiener,

    Ihm schmeckte gar zu schön mein Benediktiner.

Thay Thaysen ist mein Hausvogt, Moikens Vater.

Er lehrte früh sie jede Fischerregel.

Beim Krabbenfangen ist er Schlickdurchwater,

Wie er hantiert auch sie mit Seil und Segel.

Was immer für sie tun er konnte, »tat er«,

Doch las er nicht mit ihr Horaz und Hegel.

    Für meine Einsamkeit ganz wie geschaffen,

    Mußt' ich in Moiken mählich mich vergaffen.

Ich liebe sehr die kühne Reigerbeize,

Zur Seiten einer wunderholden Frau.

Dornhecken über ohne viel Gespreize,

Hep! über Gräben, Hürd', Verhack, Verhau.

Das alles hat ja ganz besondre Reize:

Die schöne Frau, die Falken, Himmelsblau.

    Zum Wechsel doch einmal in vollen Zügen

    Ein Fischermädel lieben, macht Vergnügen.

Komm ich vom Entenschießen müd' zurück,

Eilt Moiken auf der Werfte mir entgegen,

Nimmt mir das Jagdgerät ab, Stück für Stück,

Um dann die Jägersuppe vorzulegen.

Aus allen Ecken lacht mich an das Glück,

Ich muß das Mädchen still am Herzen hegen.

    Mit Halligblümchen schmück ich ihr die Brust,

    Die Blumen küß ich dann nach Herzenslust.

Wir plaudern abends häufig am Kamin,

Moiken erzählt mir Inselmärchen, Sagen,

Ich ihr von Wien, Turin, Dublin, Berlin,

Sie wieder mir von Flut und Sturmestagen.

Erschreckt stützt sie die Händchen auf die Knie,

Meld ich von Schlacht und wildem Rossesjagen.

    Zuweilen les ich ihr Gedichte vor,

    Doch hört sie lieber von der Garde du Corps.

Wie reizend ist's, bestaunt sie meine Sachen,

Denn alles ist ihr neu noch und ein Wunder.

Sie sah bisher nur Netz und Fischernachen,

Den Seehund, Flut und Ebbe, Dorsch und Flunder.

Wie freut sie sich, wie lieblich ist ihr Lachen,

Schenk ich ein Stückchen ihr von all dem Plunder.

    Von Büchern liebt sie nur die schönen Bände,

    Und läßt von alten Tröstern gern die Hände.

Mein Platen ist zum Beispiel gut gebunden,

Den hat sie sich zum Lesen auserkoren.

Neulich hab ich im Grafen sie gefunden,

Mit ihren Fingern schloß sie sich die Ohren.

Doch schien ihr die Lektüre nicht zu munden,

Wahrscheinlich ging der Faden ihr verloren.

    Hier, Moiken, hier, nimm: Hannchen und die Küchlein.

    Das ist für dich ein allerliebstes Büchlein.

Wie schätz ich Platen, seine Prachtsonette,

Wie dank ich Geibel, daß sein schönstes Lied

Ihn feiert: Wundervoll sind die Terzette,

Durch die sein roter Zornesfaden zieht.

Platens Balladen sind zwar sehr honette,

Doch ohne Funkelfeuer, Kolorit.

    Bei Bürger, Strachwitz, Uhland, Dahn, Fontane,

    Wie scheint und schimmert die Balladenfahne.

Die Worte: Busen, duften, kosen, wallen,

Sind alte deutsche Worte, schön, verstehlich.

Der Dichter bringt sie gern in ganzen Ballen,

Aus unsrer Sprache sind sie unverwehlich.

Wie kommt es, daß sie nimmer mir gefallen,

Ich finde scheußlich sie, ganz unausstehlich.

    Um meinen Busen kosen Moikens Locken,

    Und wallen, duftend, dann ihr auf die Socken.

Wall»e«t das Haar auch, duftend, auf die Socken,

Nicht kos»e«t mehr ihr Busen an dem meinen.

Im Gegenteil, ihr Busen wallt erschrocken,

Und ach, die süßesten der Augen weinen.

Ihr Herzchen wallt, doch nicht wie Abendglocken,

Es wallt wie Sturm das Herzchen meiner Kleinen.

    In ihres Busens tief geheimster Bucht

    Verankerte sich grimme Eifersucht.

Mein gutes Mädchen, sei mir nicht mehr böse,

Daß ich dich, wie du meinst, geärgert habe.

Näh freundlich wieder Knöpfe mir und Öse,

Durchkrame wieder meine ganze Habe.

Du weißt, ich bin zuweilen sehr nervöse,

Sei wieder gut, sonst schelt ich noch im Grabe.

    Acht Tage sind es her, daß fort die Truppe,

    Und ausgelöscht die letzte Lampenschnuppe.

Ich hatte Komödianten kommen lassen,

Um mir die Zeit ein wenig zu verkürzen

Und meinen treuen biedern Wassersassen

Einmal den rauhen Seemannstag zu würzen.

War das ein Jux und Jubel, kaum zu fassen,

Ich sah sie lachend sich entgegenstürzen

    Den angekommnen Künstlern eine Strecke,

    Nur Moiken schielte schüchtern um die Ecke.

Der Herr Direktor war ein alter Mann

Mit weißem Haar und dicker roter Nase.

Die größten Mimen tat er in den Bann,

Was waren Devrient und Friedrich Haase.

Als Gast war er sogar in Ispahan,

Sprach er von dort, geriet er in Ekstase.

    Sehr abgeschabt war des Direktors Rock,

    Des Abends trank er dreizehn Gläser Grog.

Die Frau Direktor, eine kleine Dame

Von sechzig Lenzen und vielleicht darüber,

War einst gefeiert, ein berühmter Name,

Bis mählich trüber ward ihr Stern und trüber,

Bis ihr das Leben gab, das mühesame,

Das Leben, ach, zu viele Nasenstüber.

    Am Tage stand am Herd sie, wusch und nähte,

    Am Abend spielte sie die Margarete.

Liebhaber Nummer eins, er hieß Maresche,

War Heldenvater auch und Intrigant.

Liebhaber Nummer zwei, er hieß Manesche,

War noch ein Junger siebzehnjähriger Fant.

Nicht immer trugen sie die reinste Wäsche,

Doch waren sonst sie fein und elegant,

    Ergötzten beide, ging der Vorhang nieder,

    Das Publikum durch Anekdoten, Lieder.

Natürlich fehlte auch nicht die Soubrette,

Sie war ein junges allerliebstes Ding.

Tagüber lag sie freilich gern im Bette,

Wenn ihr das Leben nicht nach Laune ging.

Zuweilen sangen wir bei mir Duette,

Es war für Schumann ihr Talent gering.

    Doch sang sie aus dem Troubadour und Carmen,

    War sie zum Küssen niedlich und Umarmen.

Nun sitzen beide wieder wir alleine,

Sei, Moiken, artig, so, gib mir die Hand.

Auf dieser Insel bin ich ganz der deine,

Wo uns so manche schöne Stunde schwand.

Und bin auch einst ich ferne, liebe Kleine,

ich denke oft zurück an unsern Strand.

    Hör, wie der Sturm die alte Werft umbraust,

    Und wie die riesigen Eschen er zerzaust.

Hier fand ich Ruhe, die nicht ich gefunden

Im Treiben der Gesellschaft, in den Schenken.

Hier fand ich Ruhe, um in vielen Stunden

In unsre Dichter ganz mich zu versenken,

Von alten Wunden endlich zu gesunden,

Vergangnes Leben ernst zu überdenken.

    Viel Glaube stirbt, manch Vorurteil zerschellt

    In tiefer Einsamkeit, weitab der Welt.

Bin ich entfesselt der Verbannungsbande,

Leuchtet zurück vom Heimatufer mir

Die Fackel, hoch auf rotem Felsenrande,

Ich will ins Meer mich stürzen voller Gier

Und schwimmen, bis ich bin im Vaterlande,

Wo mich umrauscht das alte Reichspanier.

    Heiß küssen will ich, heiß, den heiligen Boden,

    Zum Orkus trümmern meine Traueroden.

An jene Tage, als mit meiner Bracke

Jagend ich einsam durch die Watten schlich,

Von eines alten Räuberturmes Zacke

Ringsum ersah den letzten grauen Strich

Endlosen Wassers, aus dem schwarze Wracke

Bei tiefer Ebb' aufragen trotziglich.

    An jene Zeit, als mir am Herzen traut

    Ein Mädel lag, die kleine Fischerbraut.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.