Detlev von Liliencron

Ich war so glücklich (Detlev von Liliencron)

Ausflug

       

Mittsommertag.

Um sieben Uhr früh schon

Spritzen die Sprenger

Das glühende Pflaster.

Und um sieben Uhr früh

Bin ich unterwegs

Nach dem Bahnhofe.

Die schönste Rose, die zu erlangen ist

In der Stadt,

Eine mächtige Marschall Niel,

Kauf ich mir im Blumenladen.

Daß sie nicht welkt,

Umschlägt sie die Verkäuferin

Mit weißem Seidenpapier.

Und nun glänzt es

Durch die zarte Umhüllung

Wie schmelzende Butter.

Welcher Wirrwarr

Auf dem großen Bahnhofe.

An allen Schaltern Gedränge;

Viele Sprachen umtönen mich;

Rote Reisebücher stechen aus allen Händen.

In den Hallen und Sälen und Fluren

Wartende,

Sich Treffende,

Schwatzende,

Sich Durcheinanderschlingende,

Schuppsende,

Entwirrende.

Und im Mittelbau

Wart auch ich,

Umbrandet

Von Menschenwogen.

Und meine Augen

Wandern immerfort wieder

Nach dem Haupteingange:

Jetzt, jetzt muß sie kommen.

Mit schrillem, durchdringenden Tone

Schlägt eine Uhr drei Viertel.

Nur noch sieben Minuten

Und - da ist sie, da ist sie.

Ihr gelbbraunes Jäckchen

Erkenn ich aus tausenden.

O Glück, ich fing dich, ich halte dich,

O Tag, du bist so schön.

Rasch steckt die Rose

An der Brust des liebsten Mädchens.

Nun die Fahrkarten,

Und ins Coupé.

Dem Schaffner ein Trinkgeld,

Wir bleiben allein.

Nicht fern unsrer Tür,

Steht der dicke, rotmützige,

Biergesichtige Zugführer.

Er spielt mit seiner elfenbeinernen Pfeife,

Sie ab und zu

An die Lippen bringend, in die Lippen setzend,

Ohne das Zeichen zu geben.

Er schielt zuweilen nach uns hin

Und lächelt,

Lächelt ein wenig maliziös,

Und gutmütig zugleich.

Hol' ihn der Kuckuck.

Jetzt gibt er den Befehl zur Abfahrt.

Endlich!

Die Lokomotive schreit.

Langsam setzen wir uns in Bewegung.

Haltepunkt um Haltepunkt verliert sich hinter uns.

Wir nähern uns dem Ziele.

Vorm Spiegel wird alles in Ordnung gebracht:

Ins zerzauste Haar

Die verlorengegangene

Und wiedergefundene Nadel geheftet;

Das Hütchen zurechtgerückt.

»Nichts vergessen?«

Und: »Bitt' schön, möcht'st du mir net g'schwind

Den Handschuh zumachn?«

Wir steigen aus.

Arm in Arm, o die Seligkeit!

Im fremden Städtchen

Ist Jahrmarkt.

Wir besuchen den Trödel:

Wir reiten im Karussell

Auf Löwen und Schwänen;

Wir bestaunen »die Wunderdame«;

Wir lassen uns photographieren:

»Immer herein die Herrschaften;

In zwei Minuten ist alles fix und fertig.«

Die Bilder sind herrlich;

Nur das linke Auge

Des Mädchens fehlt;

Statt dessen zeigt sich ein weißer Fleck,

Erbsengroß.

Und nun in den Wald.

Welch ein wundersamer der ist:

In gleichen Zwischenräumen

Stehn uralte Eichen,

So weit auseinander,

Daß die äußersten Spitzen jeder

An die äußersten der nächsten stoßen.

Englischer Rasen, merkwürdig: hier,

Breitet sich zwischen ihnen.

Wie ein anderweltlicher Hain

Mutet er mich an.

Und unter einem dieser Riesen,

Beim Eintreten ist's natürlich schon,

Schlag ich um des Mädchens Schultern

Den Arm.

Sie beugt das Haupt zurück.

Und ihr den Strohhut

In den Nacken schiebend,

Küß ich sie lang, lang und innig.

Was geht den Frauen und Mädchen

Über »die Landpartie«?

Nichts.

Selbst dem kleinen Herzensintrabbringer,

Der sonst so zärtlich behandelt wird,

Wird dann der Rücken gekehrt.

Doch nicht ganz:

Am sanften Abhange,

Am Saume der Hölzung,

Ruhen wir.

Wohlriechender Wegerich,

Hundszunge und Ehrenpreis,

Zittergras und Salbei

Sind unser Teppich.

Goldamseln umhüpfen uns.

Und alles ist wie ein Traum.

Auf dem Rückweg

Entdecken wir im Holz

Eine offenstehende Kapelle,

Das Kirchlein »Maria Eich«.

Wir treten ein in die Kühle,

In das Halbdunkel.

Geheimnisvoll leuchtet die ewige Lampe.

Das Mädchen

Verneigt sich und bekreuzt sich

Vor der schwertdurchbohrten Mutter Gottes.

Und unsere Sünden

Sind uns vergeben.

Wir hängen ein selbstgeflochtenes Kränzel

Um den Ringgriff der Eingangspforte,

Und pilgern dann

Ins Städtchen zurück.

Im Garten unseres Gasthauses

Ist Konzert.

Wir sitzen abseits, unbemerkt.

Kastanien, die vor unserer Laube

Ihre dicken Stämme zeigen,

Strecken ihre Dächer über uns.

Durch sie durch sehn wir,

Im Sechsuhrnachmittagssonnenschein,

Gärten und flache Wiesen,

Hinter ihnen vereinzelte Häuser,

In denen das Nachtessen

Bereitet wird:

Gradauf steigt bläulicher Kaminqualm.

Plötzlich nehm ich das Mädel

Auf meine Arme, meine Hände,

Und halte sie hoch:

Wie Salome das Haupt des Täufers

Auf der emporgehobnen Schüssel;

Wie ein eiliger Kellner,

Der die dampfende Terrine:

»Heiß, heiß!« durch die ihn einkeilende Menge

Steuern will;

Wie einer, der ein krankes Reh trägt,

Das die Meute, mit gereckten Köpfen,

Mit hängenden, schwitzenden Zungen,

Mit an ihm hinaufstrebenden Pfoten

Gierig umläutet.

Euch, ihr Götter, bring ich das Opfer nicht,

Ihr neidischen!

Gelt, ihr möchtet das bißchen Glück

Mir gerne nehmen!

Bleibt's g'sund, sagt der Münchener;

Da lur up, sagt der Holsteiner;

Begegnet mir im Mondschein, sage ich.

Das Mädchen lacht und zappelt, zappelt und lacht.

Vor uns liegt

Die ruhige, bescheidene,

Schornsteinrauchfriedliche Landschaft.

Kleine Reise

       

Keine Seele heut,

Im bösen Regenwetter,

Besucht das Schloß.

Nur von einem uralten, weißhaarigen,

Papageiisch plappernden Diener begleitet,

Wandern wir,

Das Mädel und ich,

Durch die hallenden Säle.

Hat der Greis solch Vertrauen zu mir:

Auf meine Bitte, geht er.

Nun sind wir allein.

Und ich zeig ihr die Wunder:

Verschossene und immer noch prächtige Gobelins,

Schlachten- und Jagdbilder,

Kaiserinnen, Fürstinnen,

Prinzen, Marschälle, Würdenträger,

Einen verewigten Hofnarren;

Alles in Reifröcken, Perücken, Zöpfen,

Mit Zierdegen und Kniehosen,

In Schmuckpanzern des achtzehnten Jahrhunderts.

Und selbst ein Lieblingsmops

Ist abkonterfeit.

Einmal, in einem weiten Saale,

Den sich die Einsamkeit der Einsamkeiten

Zum Schlaf erkoren hat,

Verweilen wir länger:

Zwei verblichene, winziglehnige, weiße

Seidensessel stehn hier, auf einer Erhöhung,

Nur diese beiden, sonst ist's leer.

Ihnen gegenüber, von Pesne gemalt,

Spannt Amor den Bogen.

Wir setzen uns.

Dann spring ich auf, und auf dem eisglatten Täfelboden

Tänzel ich,

Ein wenig den Spielhahn nachäffend,

Schuhplattlerartig;

Dann, zur Abwechslung, im ernsten, gemessenen,

Höchstwohlanständigen Menuettschritt.

Und alles vor ihr.

Und sie lehnt sich,

Nur der Fächer fehlt,

Erst lächelnd, dann lachend zurück,

Und hält das Köpfchen schief,

Und ist ganz, ganz eine junge Durchlaucht,

Und ich bin ganz, ganz ihr Affe-Kammerherr.

Und Amor kichert und hat,

Seit wie langer Zeit,

Wieder »a Freid«.

Nun haben wir alles beschaut,

Zuletzt mit andächtigem Staunen

Die riesigen, wurmstichigen Prunkbetten.

Genug der Herrlichkeit.

Wir steigen die reichbreite, reichgeländergeschmückte

Marmortreppe hinab.

Ritterlich biet ich meiner Schönen die Hand.

Und sie geruht,

Auf meinen hingehaltenen Zeigefinger

Ihr Händchen zu legen.

Acht Pagen halten ihr

Die schwere gold- und silberdurchwirkte Schleppe.

Tief, sehr tief neigen sich

Die zu beiden Seiten der Stufen stehenden

Kavaliere vor uns.

Hinter uns: das »Cortège«

Bis auf den phantastisch gekleideten Leibmohren,

Der das Schoßhündchen trägt.

Im Haupteingange

Ist die Wache ins Gewehr getreten.

Der Offizier, mit der Blechhaube,

Streckt sein Sponton.

Der Trommler wirbelt.

Wir aber, wieder Menschen des neuen Jahrhunderts,

Das Mädel und ich,

Gehn im Regen zurück

In unsern Gasthof,

In den Gasthof »Zum teutschen Dichter«.

Den Namen so einladend findend,

Wählten wir den »teutschen Dichter«.

Hier unterdessen ward uns ein Zimmer bereitet.

Das Essen wartet:

Eine Hirnpflanzlsuppe,

Zwei Kalbshaxen mit Erdäpfeln

- Sonntags genannt Kartoffeln -

Und mächtige Schüsseln, so war es gewünscht,

Mit Preißelbeeren und Gurkensalat.

»Wohl bekomm's!«

Und sehr wohl bekommt es uns.

Roter Tirolerwein

In hübschen Kristallflaschen,

Ist nicht vergessen worden.

Der Abend brachte die Sonne.

»Wollen wir ausgehn? Kommst du mit?«

»»Scho recht, scho recht.««

Der Abend brachte die Sonne.

Hinaus, und unser Gang

Gilt dem Garten des Schlosses.

Wie am Morgen,

Sind wir auch nun allein.

Kaum etwas auf der weiten Erde

Birgt solche Poesie,

Wie ein verlassener,

Halb verwilderter,

Lindenverwachsener,

Vögeldurchsungener Sommergarten.

Die Wasser sprangen.

Für wen?

»Siehst du, uns zu Ehren, nur für uns.«

Hingerissen von den Linien

Des im italienischen Stil

Ausgeführten Palastes,

Erklär ich sie meiner Begleiterin.

Sie aber, dies für außerordentlich

Langweilig erachtend,

Ruft plötzlich in hellster Freude:

»A Goas, a Goas; kumm, Lisi.«

Und kniet,

Fast verschwindend im wuchernden Grase,

Neben die einsame, angepflockte Ziege,

Die den Störenfried erst verwundert betrachtet,

Dann die Hörner einsetzt.

»Der Teifi, der Teifi«,

Und das Mädchen sucht,

Halb in Angst, halb im Scherz,

Schutz in meinen Armen.

Und noch einmal bückt sie sich im Grase,

Feldblumen pflückend.

Ablassend von der Bestaunung

Des tief mein Schönheitsgefühl

Befriedigenden Linienschwungs des Schlosses,

Wend ich mein Auge

Dem Dirnlein zu,

Das im Auf- und Niedertauchen

Nacken, Hals und Haupt hebt,

Nacken, Hals und Haupt untersinken läßt.

Dann schreiten wir

- Sie trägt den vollen Strauß,

Aus dem ich mir nur

Eine Taglichtnelke erbeten habe -

In die dunkelnden Baumgänge hinein.

Immer schwächer tönt zu uns

Das Plätschern und Plauschen der Springbrunnen;

Immer lauter wird das Lärmen

Der Amseln.

Und wir schreiten zu,

Mit kräftigem Schritt,

Blutlebendig, lebenbeglückt.

Leben, hurra!

Keiner begegnet uns;

Kein abscheuliches, hingeworfenes, verfaulendes

Butterbrotpapier stört uns.

Wir sind wir allein,

Wie sich's gehört:

Der König und die Königin!

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.