Der Hunger und die Liebe (Detlev von Liliencron)
Gänsehautballade im Bänkelsängerton
Tunkomar und Teutelinde,
Welch ein zärtlich junges Paar.
Er gemächlich, sie geschwinde;
Furie sie, er Dromedar.
Er phlegmatisch und platonisch:
»Süßes Lindchen, Mündchen her.«
Sie dämonisch, denkt lakonisch:
»Er ermannt sich nimmermehr.«
Sonntags: Ausflug. Treubeflissen
Jedes Mal ein leckres Fest.
Er häuft ihr die besten Bissen,
Sich bescheidend mit dem Rest.
Dann nach Hause. Vor der Klause
Küßt er ihr galant die Hand.
Sitzt die arme kleine Mause
Stets allein vor ihrer Wand.
Hindernisse aller Sorten
Türmen sich der schönen Braut,
Hier die Eltern, Geldschwund dorten,
Und der Bräutigam steht benaut.
Mais la femme: Teutelinden
Wird es glücken klipp und klar,
Sich mit Tunkomarn zu binden,
Wo's auch sei, am Traualtar.
Sie beschließen, zu entfliehen,
Nicht zu warten, nein, sogleich!
Und Poseidon sieht sie ziehen
Durch sein großes Wasserreich.
Ihrer Sehnsucht höchste Höhe
Heißt das Land Amerika.
Schicksalswanzen, Fehlschlagsflöhe
Weichen dort, Halleluja!
Glatter als des Spiegels Glätte
Breitet sich der Ozean.
Plötzlich fuchtelt durch die Stätte
Ein entsetzlicher Orkan.
Wale wimmern, Aale toben;
Wogenberg und Wogental.
Mast nach unten, Kiel nach oben;
Munter hält der Hai sein Mahl.
Tunkomar und Teutelinde,
Ach, erklettern mühsam nur
Eines Eilands Felsenrinde,
Triefend von der nassen Spur.
Unter einer Sykomoren
Ruhen sie die erste Nacht.
Und sie sehen sich verloren,
Als sie morgens aufgewacht.
Nur Korallen, nur Gerölle;
Selbst der alte Feigenbaum
Zeitigt auf der Inselhölle
Keine Frucht im Blätterraum.
Kaffee wünscht sich Teutelinde,
Und ein Brötchen Tunkomar.
Nirgends wächst ein Obstgebinde,
Gräßlich, auf dem Steinaltar.
Eilends wird der Hunger stärker,
Immer stärker, ganz enorm;
Endlich wird er Feuerwerker
Und zersprengt die Anstandsform.
Tunkomar springt aus der Tute,
Wird Berserker! Goliath!
Teutelindchen schwimmt im Blute,
Tunkomarchen frißt sich satt.