Das alte Steinkreuz am Neuen Markt (Detlev von Liliencron)
Berlin-Cölln war die Stadt genannt
Und tat viel Lärm verbreiten,
Da lebte mal ein Musikant,
In sagenhaften Zeiten.
Der rührte so sein Saitenspiel,
Daß alles auf die Kniee fiel
Vor lauter Seligkeiten.
Doch leider hat der Musikant
Zu viel Bourgogne genossen;
Das schuf ihm manchen Höllenbrand,
Warf ihn in manche Gossen.
Ein greulich Laster trat hinzu:
Er lästert Gott und Himmelsruh
Mit seinen Teufelsglossen.
Einst, als die Welt ihm schwankend schien,
Er war halt stark im Trane,
Stieg er den Turm von Sankt Marien
Hinauf im Söffelwahne.
Und auf der Plattform oben, quiek,
Geigt er die weltlichste Musik
Dem guten Kirchenhahne.
Ach, das war wahrlich kein Choral,
Das waren Tanz und Weisen,
Und üppige Lieder, die dem Baal
Gefallen und ihn preisen.
Und schaudernd hört der Kikeriki
Die grauenhafte Blasphemie
Und möchte stracks verreisen.
Die Bürger unten bleiben stehn
Und traun kaum ihren Ohren,
Begreifen nicht, wie konnt's geschehn,
Und murren und rumoren.
Und jeder sieht schon, daß er fällt,
Sich Schädel und Genick zerschellt,
Und hält ihn für verloren.
Gottvater hat es auch gehört,
Und denkt: Mein Musikante,
Du bist zwar sehr vom Wein betört
Und torkelst an der Kante,
Du bist ein liederliches Vieh,
Doch bist und bleibst du ein Genie,
Das ist das Amüsante.
Drum gönn ich eine Lehre dir;
Du wirst sie, hoff ich, nutzen!
Das zweite Mal, mein Herr Pläsier,
Darfst du nicht wieder trutzen!
Nun paß mal auf: jetzt sag ich eins
Und zwei und drei, und nochmal eins,
Dann wird der Sand dich putzen.
Und Purzel-Purzel-Purzelbaum,
Kopf, Arm, Bein, ohne Pause,
Wie Ikaros, durch Wind und Raum,
Geht's abwärts mit Gesause.
Und schwapp, da liegt der Fiedelhans,
Ist nüchtern wie 'ne Stoppelgans,
Steht auf und geht nach Hause.
Der Musikant hat niemals nie
Den Weinkrug mehr gehoben,
Probierte täglich sein Genie,
Um Gott den Herrn zu loben.
Ob er zuweilen doch einmal,
Wer kann das wissen, den Pokal
Ansetzte? Nur zum Proben?