Das Fischermädchen in Burano (August von Platen)
1)
(1833)
Strickt mir fleißig am Netz, ihr Schwestern! Es soll's der Geliebte
Heut noch haben, sobald im besegelten Nachen er heimkehrt.
Weshalb zaudert er heute so lang? Die Lagune verflacht sich
Schon, und es legt sich der Wind; um das leuchtende hohe Venedig,
Wie es den Wassern entsteigt, ausbreitet sich Abendgewölk schon.
Ostwärts fuhren sie heut mit dem Fahrzeug gegen Altino,
Wo in den Schutt hinsank ehmals die bevölkerte Seestadt.
Häufig erbeuten sie dort Goldmünzen und prächtige Steine,
Wenn sie das Netz einziehn, die betagteren Fischer erzählen's:
Möchtest du auch, o Geliebter, und recht was Köstliches finden!
Schön wohl ist es zu fischen am Abende, wann die Lagune
Blitzt, und das schimmernde Netz vom hängenden Meergras funkelt,
Jegliche Masche wie Gold, und die zappelnden Fische
vergoldet2);
Aber ich liebe vor allem den Festtag, wann du daheimbleibst.
Auf dem besuchteren Platz dann wandelt die kräftige Jugend,
Jeder im Staat, mein Freund vor den übrigen schön und bescheiden.
Oftmals lauschen wir dann dem Erzähler, und wie er verkündigt
Worte der Heiligen uns, und die Taten des frommen Albanus,
Welcher gemalt hier steht in der Kirche, des Orts Wohltäter.
Doch als seine Gebeine hieher einst brachten die Schiffer,
Konnten sie nicht ans Ufer den Sarg ziehn, weil er so schwer schien;
Lange bemühten die starken gewaltigen Männer umsonst sich,
Triefend von Schweiß, und zuletzt ließ jeglicher ab von der Arbeit.
Siehe, da kamen heran unmündige lockige Kinder,
Spannten, als wär's zum Scherz, an das Seil sich, zogen den Sarg dann
Leicht an den Strand, ganz ohne Beschwerde, mit freundlichem Lächeln.
Dieses erzählt der bewanderte Greis, dann häufig erzählt er
Weltliche Dinge zumal, und den Raub der venetischen Bräute,
Die nach Olivolo gingen zum fröhlichen Fest der
Vermählung3):
Jede der Jungfraun trug in dem zierlichen Kästchen den Mahlschatz,
Wie es die Sitte gebot. Ach, aber im Schilfe verborgen
Lauert ein Trupp Seeräuber; verwegene Täter der Untat
Stürzen sie plötzlich hervor und ergreifen die bebenden Mädchen,
Schleppen ins Fahrzeug alle, mit hurtigen Rudern entweichend.
Doch von Geschrei widerhallt schon rings das entsetzte Venedig:
Schon ein bewaffneter Haufe von Jünglingen stürmt in die Schiffe,
Ihnen der Doge voran. Bald holen sie ein die Verruchten,
Bald, nach männlichem Kampfe, zurück im verdienten Triumphzug
Führen sie heim in die jubelnde Stadt die geretteten Jungfraun.
Also berichtet der ehrliche Greis, und es lauscht der Geliebte,
Rüstig und schlank, wohl wert, auch Taten zu tun wie die Vorwelt.
Strickt mir fleißig am Netz, ihr Schwestern! Es soll's der Geliebte
Heut noch haben, sobald im besegelten Nachen er heimkehrt.
Burano ist eine Fischerinsel, ein paar Miglien von Venedig entfernt.
Diese Verse beziehen sich, wie man leicht erraten wird, auf die starke
Phosphoreszenz der Lagune, die an gewissen Sommerabenden außerordentlich ist, und die
angeführten Wirkungen hervorbringt.
Olivolo, durch eine Brücke mit Venedig verbunden, liegt am
östlichsten Punkte der Stadt, und ist der Sitz des ehemaligen Patriarchats, das in der
neuesten Zeit nach St. Markus versetzt worden ist. Der Raub der venetianischen Bräute
fällt ins neunte Jahrhundert; doch wurde bis zum Untergang der Republik jährlich das Fest
gefeiert, das jenen Vorfall verherrlichen sollte. Man nannte es la festa delle Marie.
Der Dom von Torcello ward im Jahre 1008 gegründet. Einen alten
Bischofsstuhl, der im Freien steht, nennt das Volk den Stuhl des Attila. Attila spielt
überhaupt noch immer eine Rolle in Venedig, und das stärkste und gewöhnlichste
Schimpfwort daselbst, fiol d'un can, schreibt sich ohne Zweifel von ihm her. Denn die meisten
venetianischen Chroniken berichten uns, daß Attila der Sohn eines Hundes gewesen. Diese
Meinung beruht übrigens auf einer Sprachverwechslung, deren sich der Volkshaß bloß
bemächtigte; denn in einigen Chroniken findet man den hunnischen Autokraten auch als Sohn
eines Khans bezeichnet.
Al tempo di S. Marco ist der Ausdruck, dessen sich das gemeine Volk in Venedig
bedient, um die Republik zu bezeichnen.