August von Platen

An Goethe (August von Platen)

Mit den »Vermischten Schriften«

Glosse

Nennen dich den großen Dichter,

Wenn dich auf dem Markte zeigest,

Gerne hör ich, wenn du singest,

Und ich horche, wenn du schweigest.

Westöstlicher Diwan

 

             

Wer ein schönes Lied erfunden,

Darf dich rühmen, darf dich preisen,

Weil nur er dich ganz empfunden,

Dich, den Glücklichen, den Weisen,

Der die Welt sich überwunden.

Quaken mag im Sumpfe dorten

Jenes tückische Gelichter,

Doch die Besten aller Orten

Bilden sich an deinen Worten,

Nennen dich den großen Dichter.

Jene Schiefen, jene Lahmen

Möchten gern auch dich ermüden,

Bieten feil im fremden Rahmen

Bodenlose Platitüden

Unter weltberühmtem Namen.

Aber jedem der Verächter,

Wenn auch du, gleich Göttern, schweigest,

Schallt des Volkes laut Gelächter,

Doch ein Jubel tönt, ein ächter,

Wenn dich auf dem Markte zeigest.

Wenn die Zeit auch viel bedrohte,

Wenn in Stratfords alten Hallen

Schläft der teure, große Tote,

Wenn der Kiel der Hand entfallen,

Welche schrieb den Don Quixote:

Du doch lebst, uns zu beglücken,

Der du beider Sein uns zeigest,

Beide würden mit Entzücken,

Wenn du sprichst, vor dir sich bücken,

Und ich horche, wenn du schweigest.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-000291-5
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.