Annette von Droste-Hülshoff

Das Fegefeuer des westphälischen Adels (Annette von Droste-Hülshoff)

Wo der selige Himmel, das wissen wir nicht,

Und nicht, wo der greuliche Höllenschlund,

Ob auch die Wolke zittert im Licht,

Ob siedet und qualmet Vulkanes Mund;

Doch wo die westphälischen Edeln müssen

Sich sauber brennen ihr rostig Gewissen,

Das wissen wir alle, das ward uns kund.

Grau war die Nacht, nicht öde und schwer,

Ein Aschenschleier hing in der Luft;

Der Wanderbursche schritt flink einher,

Mit Wollust saugend den Heimatduft;

O bald, bald wird er schauen sein Eigen,

Schon sieht am Lutterberge er steigen

Sich leise schattend die schwarze Kluft.

Er richtet sich, wie Trompetenstoß

Ein Hollah ho! seiner Brust entsteigt –

Was ihm im Nacken? ein schnaubend Roß,

An seiner Schulter es rasselt, keucht,

Ein Rappe – grünliche Funken irren

Über die Flanken, die knistern und knirren,

Wie wenn man den murrenden Kater streicht.

»Jesus Maria!« – er setzt seitab,

Da langt vom Sattel es überzwerg –

Ein eherner Griff, und in wüstem Trab

Wie Wind und Wirbel zum Lutterberg!

An seinem Ohre hört er es raunen

Dumpf und hohl, wie gedämpfte Posaunen,

So an ihm raunt der gespenstige Scherg:

»Johannes Deweth! ich kenne dich!

Johann! du bist uns verfallen heut!

Bei deinem Heile, nicht lach noch sprich,

Und rühre nicht an was man dir beut;

Vom Brode nur magst du brechen in Frieden,

Ewiges Heil ward dem Brode beschieden,

Als Christus in froner Nacht es geweiht!« –

Ob mehr gesprochen, man weiß es nicht,

Da seine Sinne der Bursche verlor,

Und spät erst hebt er sein bleiches Gesicht

Vom Estrich einer Halle empor;

Um ihn Gesumme, Geschwirr, Gemunkel,

Von tausend Flämmchen ein mattes Gefunkel,

Und drüber schwimmend ein Nebelflor.

Er reibt die Augen, er schwankt voran,

An hundert Tischen, die Halle entlang,

All edle Geschlechter, so Mann an Mann;

Es rühren die Gläser sich sonder Klang,

Es regen die Messer sich sonder Klirren,

Wechselnde Reden summen und schwirren,

Wie Glockengeläut, ein wirrer Gesang.

Ob jedem Haupte des Wappens Glast,

Das langsam schwellende Tropfen speit,

Und wenn sie fallen, dann zuckt der Gast,

Und drängt sich einen Moment zur Seit;

Und lauter, lauter dann wird das Rauschen,

Wie Stürme die zornigen Seufzer tauschen,

Und wirrer summet das Glockengeläut.

Strack steht Johann wie ein Lanzenknecht,

Nicht möchte der gleißenden Wand er traun,

Noch wäre der Flimmernde Sitz ihm recht,

Wo rutschen die Knappen mit zuckenden Braun.

Da muß, o Himmel, wer sollt es denken!

Den frommen Herrn, den Friedrich von Brenken,

Den alten stattlichen Ritter er schaun.

»Mein Heiland, mach ihn der Sünden bar!«

Der Jüngling seufzet in schwerem Leid;

Er hat ihm gedienet ein ganzes Jahr;

Doch ungern kredenzt er den Becher ihm heut!

Bei jedem Schlucke sieht er ihn schüttern,

Ein blaues Wölkchen dem Schlund entzittern,

Wie wenn auf Kohlen man Weihrauch streut.

O manche Gestalt noch dämmert ihm auf,

Dort sitzt sein Pate, der Metternich,

Und eben durch den wimmelnden Hauf

Johann von Spiegel, der Schenke, strich;

Prälaten auch, je viere und viere,

Sie blättern und rispeln im grauen Breviere,

Und zuckend krümmen die Finger sich.

Und unten im Saale, da knöcheln frisch

Schaumburger Grafen um Leut und Land,

Graf Simon schüttelt den Becher risch,

Und reibt mitunter die knisternde Hand;

Ein Knappe nahet, er surret leise –

Ha, welches Gesumse im weiten Kreise,

Wie hundert Schwärme am Klippenrand!

»Geschwind den Sessel, den Humpen wert,

Den schleichenden

Wolf1) geschwinde

herbei!«

Horch, wie es draußen rasselt und fährt!

Barhaupt stehet die Massoney,

Hundert Lanzen drängen nach binnen,

Hundert Lanzen und mitten darinnen

Der Asseburger, der blutige Weib!

Und als ihm alles entgegen zieht,

Da spricht Johannes ein Stoßgebet:

Dann risch hinein! sein Ärmel sprüht,

Ein Funken über die Finger ihm geht.

Voran – da »sieben« schwirren die Lüfte

»Sieben, sieben, sieben«, die Klüfte,

»In sieben Wochen, Johann Deweth!«

Der nimmer lächelt, nur des Gebets

Mag pflegen drüben im Klosterchor,

Denn »sieben, sieben«, flüstert es stets,

Und »sieben Wochen« ihm in das Ohr.

Und als die siebente Woche verronnen,

Da ist er versiegt wie ein dürrer Bronnen,

Gott hebe die arme Seele empor!

Der schleichende Wolf ist das Wappen der Familie Asseburg.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008501-2
Erschienen im Buch "Deutsche Balladen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.